Mittwoch, 27. April 2016
In meiner Haut
Ich frag mich so oft, wann der Zeitpunkt war, an dem mir alles was ich hatte und was ich war, nicht mehr genug war.
Wann hat es aufgehört genug zu sein? Wann war es einfach nicht mehr ausreichend, das Leben, das ich führte?

Je älter ich wurde, desto mehr konnte ich mit dem Verstand erfassen, desto logischer wurden manche Dinge, andere wiederrum auch unlogischer, aber je älter ich wurde, desto bewusster wurde mir, wie es abläuft, wie man zu "funktionieren" hat, dass die Erwartungen mit jedem Jahr stiegen.
Ich habe die "Kinderwelt" als eine vollkommen andere erlebt als jetzt die "Erwachsenenwelt".
Und irgendwann kam der Punkt, da habe ich für mich begriffen, dass ich mehr sein muss, um weiterhin so bestehen zu können wie ich es gerne möchte.
Die ganze Welt liegt irgendwann offen vor einem, man bekommt Freiheiten und verliert dabei Sicherheiten.
Und irgendwann hab ich scheinbar gemerkt, ich hab keine Kontrolle mehr über die Dinge, die um mich herum passieren, die Welt da draußen kann ich nicht kontrollieren, sie stürzt auf mich ein und macht mir Angst.
Somit erschuf ich mir meine eigene kleine innere Welt , denn hier hatte ich die Kontrolle, hier war ganz alleine ich "Bestimmerin".

Ich konnte Veränderungen auslösen, ich hatte Macht über etwas, ich ganz alleine hatte die Macht über meinen Körper, hatte ein Geheimnis, später eine Leidenschaft.
Dieses Gefühl war unschlagbar, es gab mir etwas was ich vorher nicht kannte und es war so gut.
So gut, dass ich es bis heute nicht aufgeben konnte, 8 Jahre und viele weitere sich sekündlich verknüpfende Gehirnsynapsen später, versuche ich immernoch krampfhaft wieder in dieses Glücksgefühl, in diesen (fast schon) Rauschzustand von damals zu gelangen. In die pure Freude drüber etwas entdeckt zu haben, was nur mir gehört und mir niemals Jemand wegnehmen kann.
Da häng ich also immer noch fest, daran hing ich die ganzen Jahre lang fest und werde es weiterhin tun.

Einfach so, aus dem Nichts heraus kam der Zeitpunkt, an dem ich abgetaucht bin, ganz still und leise in meine eigene Welt.
Ich hab mich in ihr heimisch eingerichtet, fühl mich meistens ganz wohl in ihr, weil sie vertraut ist.
Doch irgendwann musste ich feststellen, dass auf Leichtigkeit die Schwere folgt, und aus Liebe wurde Hass, eine Hassliebe, eine Abhängigkeit, eine Sucht, eine ewige Suche.

Und jetzt sitz ich hier und denk über den nächsten Satz nach, denk drüber nach, was ich eigentlich suche und wer ich eigentlich bin.
Ob ich diesen Text veröffentliche oder ihn doch wieder lösche, denn bisher ist er noch so nichtsaussagend.
Es ist nicht so einfach in meiner Haut zu stecken, wahrscheinlich "jammere" ich wieder auf zu hohem Niveau, denn ich weiß, es gibt Häute, in denen will man noch weniger stecken als in meiner.
Ich hab eigentlich so viel, alles was man zum überleben und sogar zum leben braucht. Ich hab die Freiheit und das Glück in einem Land geboren zu sein, wo es mir an nichts fehlen muss, ich hab Perspektiven, ich hab eine Zukunft.

Und dennoch bin ich ewig suchend und vom Gefühl her doch so sehr von Mängeln geplagt, denn wenn ich mich frage, wer ich eigentlich bin, finde ich keine Antwort.
Bin ich etwa identitätslos?
Okay, ich habe einen Namen und einen Pass, etliche Nummern die man mir zuordnen könnte und die beweisen, dass ich existiere.
Aber wer bin ich?
Ich hab keinen Beruf, keinen Status, keine Titel, ich habe höchstens ein paar Diagnosen und manchmal zu viele Wörter im Kopf die wie ich finde zu selten ausgesprochen werden, denn sprechen ist nicht meine Stärke.
Doch wenn ich genauer drüber nachdenke, merk ich, dass ich eigentlich doch Jemand bin, eine Persönlichkeit, vielleicht noch nicht ganz erforscht genug, aber ich weiß, dass ich nicht Nichts bin, auch wenn ich mich oft so fühle, ich weiß auch, dass ich was kann, auch wenn ich mir das oft nicht eingestehe.
Ich bin eine junge, ängstliche, zu depressiven Verstimmungen neigende Bulimikerin, ewig suchend nach dem Sinn des Lebens, im Prozess des Erwachsenwerdens und Selbstständigwerdens, mit zu hohen Anforderungen an mich selbst, irgendwie einsam, mal hochmotiviert, mal todessehnsüchtig, immer wieder dort landend wo ich nie mehr hin wollte, so bedürftig und unsicher, eigentlich gar nicht so dumm oder hässlich wie ich oftmals denke, mit dem Wunsch eigentlich bedürfnislos sein zu wollen, denn ich kann mir nicht vorstellen jemals genug zu bekommen, jemals satt zu werden vom Leben, jemals mit mir selbst "im Reinen" zu sein und mich in meiner Haut wohl zu fühlen.