Montag, 16. Mai 2016
Bulimie
Bulimie bedeutet für mich Trost in der Isolation, Intimität, kurzfristiges Abtauchen aus der Wirklichkeit in eine "heile Welt".

Bulimie bedeutet für mich Gefühle entweder wegzuhungern oder sie aufzuessen und anschließend auszukotzen.
Bulimie bedeutet Leere, müde sein, hungrig sein, alleine sein.
Bulimie ist für mich gleichzeitig ein Versuch am Leben zu bleiben, sowie diesem entkommen zu wollen.
Manchmal erscheint es mir wie der direkt, indirekte Weg in den Tod. Eine Flucht vor dem Leben.

Bulimie ist schmerzhaft, unberechenbar und hartnäckig.
Sie ist Ersatz und symbolische Sprache auf einer anderen Ebene. Bulimie ist Selbstaufgabe, niemals satt sein können, lebenshungrig, lebensdurstig und lebensmüde sein .
Bulimie ist Entfremdung von sich selbst.

Ich führe kein Leben mit Bulimie, ich führe ein Leben in der Bulimie, zwischen "Ich kann nicht mehr" und "Ich will viel mehr".
Es ist eine Last, eine Schwere in heimlicher Hoffnung auf Leichtigkeit.
Je mehr ich versuchte "perfekt" zu sein, desto mehr scheiterte ich daran.

Bulimie ist eine verlogene Scheiße.
Bulimie ist eine Diebin, sie klaut dir Lebenszeit und nimmt deinen Mut, deine Hoffnung, deine Kraft, deine Gesundheit, deine Schönheit, deine Persönlichkeit und gibt dir Nichts dafür wieder.

Bulimie ist so tot und so lebendig gleichzeitig.
Bulimie ist meine größte Herausforderung, meine schlimmste Gegnerin, meine beste Freundin.
Immer wieder treibt sie mich an meine Grenzen, immer erwartet sie Neues und immer zu viel. Und ich bin dabei immer zu wenig, ich bin niemals genug mit ihr.

Bulimie bedeutet für mich Verlust. Ich hab zu viel durch sie verloren und mich selbst dabei.
Bulimie ist Aufrechterhaltung einer Maske und manchmal auch die eigene Unkenntnis darüber, was sich dahinter verbirgt.
Denn Bulimie ist niemals ehrlich, Bulimie zeigt sich immer nur verschleiert, sie ist knallhart aber tut so als wäre sie weich und zart.
Und ich erfahre durch sie nie, wer ich ohne sie gewesen wäre oder bin.
Was macht mich aus?
Wie ist der Klang meiner Stimme, wenn sie darin mal nicht mitschwingt, und welche Worte würde ich sprechen, wenn sie sie mir mal nicht in den Mund legen würde?
Wie würde ich mich bewegen wenn sie mich nicht bewegen würde?
Wie würde ich lachen, wenn sie mir mein Lachen nicht gestohlen hätte?
Wie würde ich mich verhalten, wenn sie mich nicht mehr halten würde?
Und wie würde ich jetzt leben, wenn sie mir meine Lebendigkeit nicht genommen hätte?


Mit Bulimie scheine ich eben so oft zu scheitern wie neu zu beginnen.