Ganz okay
16 Wochen Klinikaufenthalt hinter mir und ich bin stärker geworden, bin an mir selbst gewachsen, musste einsehen, dass ein langer Weg vor mir liegt, dass Gewohnheiten und antrainierte Strategien um das Leben irgendwie zu meistern, nicht so schnell verschwinden wollen/können.
Entwicklung braucht Zeit, Gesund werden braucht Zeit.
Ich hab gelitten, geweint, gelacht, war hoffnungsvoll und zugleich hoffnungslos. Ich habe weiterhin gekotzt, zu viel gegessen oder zu wenig gegessen, es aber immerhin eine ganze Weile geschafft regelmäßig "normal" zu essen.
Ich hab gezweifelt, mich selbst verletzt, mich kaum ertragen, mit mir gekämpft, mich nur kurz akzeptiert. Ich hab abgenommen, zugenommen und wieder abgenommen. Ein ständiger Kampf mit und in mir.
Hab mich versucht auszudrücken, mich versucht zu erklären, mich versucht zu verstehen, mich versucht zu finden und mich dann wieder verloren.
"Ganz okay" war meine Standardantwort auf die Frage wie es mir geht.

Ich hab gelernt, ich hab geschwiegen, wahr ehrlich und hab trotzdem gelogen, hab mich vor mir selbst versteckt und bin weggerannt.
Ich hab mich verliebt und wieder entliebt und hatte viel zu viel Angst mich meiner Angst zu stellen.
Das waren meine ersten Monate des Jahres 2016, Dezember bis April.

Und jetzt steh ich hier, hab mich verändert, äußerlich und innerlich und fühl mich schlecht.
Mit verschwommenem Blick zwar immer noch nach vorne hoffend, aber mich selbst wiedermal komplett verloren.
Und ich muss einsehen, dass alles nicht so einfach ist wie ich dachte.
Dass man nicht immer positiv denken kann, dass Alles manchmal furchtbar anstrengend ist und mir manchmal die Luft ausgeht.
Dass ich manchmal viel zu naiv bin und wie ein rebellierender und pubertierender Teenager gegen jede Wand renne, die ich mir selbst aufgestellt habe. Dabei müsste ich doch reifer sein, müsste es doch besser wissen, müsste doch aus Fehlern lernen?

Ab und zu fall ich wieder in meine alt bekannten Löcher, in denen alles schwarz ist, und ich denke, dass das das Ende ist, dann steht mir die Verzweiflung wieder ins Gesicht geschrieben und nichts bewegt sich, alles steht still. Doch es steht niemals still, es läuft immer weiter. Die Zeit läuft und ich laufe mit ihr und wenn ich nicht selbst laufen kann, dann schiebt sie mich. Sie wird mich sowieso überholen irgendwann.
Aber jetzt bin ich noch da, das ist mein Zeitfenster, hab versucht es so auszuschmücken wie es mir gefällt, richtig gefallen tut es mir allerdings nie.
Was solls...ich nehm was ich kriegen kann, lauf weiterhin gegen Mauern, stürze und steh dann wieder auf. Hab blutige Knie, Schrammen und Narben überall, doch wer hat die nicht?

Irgendwie wirds schon okay sein auch mal nicht okay zu sein. Und irgendwie muss ich weiter kämpfen, gegen mich oder mit mir. Und die Angst gehört dazu und ist im Prozess des Gesundwerdens und des Erwachsen- und Selbstständigwerdens mit inbegriffen. Eine schwierige Zeit halt, ich frag mich nur wann sie mal leicht wird und ob sie das jemals war. Aber Niemand hat gesagt das Leben sei leicht und so nehm ich weiter was ich kriegen kann auch wenns zu wenig ist und mein hungriges Herz niemals satt wird.
Es ist okay nicht okay zu sein.
Doch jetzt in diesem Augenblick ist Alles grade "ganz okay".




goldsturm am 23.Apr 16  |  Permalink
Ich hab mich schon gefragt wo du geblieben bist!

16 Wochen Klinikaufenthalt ist eine lange Zeit und man merkt wirklich, wie es bei dir wohl drunter und drüber ging.
"Ganz Okay" war bzw. ist auch meine Standardantwort. Es ist neutral und die Leute geben sich meist damit zufrieden und stellen keine weiteren Fragen auf die man keine Antwort geben möchte..oder kann.

Bei dir schwankte alles von einem Extrem zum anderen und obwohl jeder eine andere Empfindung hat, so kann ich das ganze hin und her echt nachvollziehen.
Es ist so lästig, so anstrengend und ermüdend. Man klettert mühselig den Berg hoch, nur um auf der anderen Seite wieder runterzufallen.

Das mit der Zeit hast du sehr schön beschrieben.
Ach das ist irgendwie nicht das richtige Wort. Ich empfinde deine Einträge immer als bittersüß.
Die behandelten Themen und Empfindungen sind traurig und dennoch lies ich die Texte so wahnsinnig gerne.
Einfach weil ich mich darin wiederfinde und ich das alles niemals so schön ausschmücken, beschreiben, wiedergeben kann wie du.

Schön, dass du wieder da bist!

Mit vermaledeiten Geistern der Vergangenheit kämpfend,
Goldsturm

raupenimmersatt am 24.Apr 16  |  Permalink
Danke.
Ja, ich lebe im Land der Extreme, das ist wirklich ganz schön anstrengend manchmal.
Aber freut mich, dass du meine Texte anscheinend gerne liest, auch wenn sie oft wohl eher negativ besetzt sind und leider nicht besonders mutmachend oder motivierend sind.

Finde es auch schön, dass du noch da bist.
Wünsch dir viel Kraft weiterhin im Kampf gegen deine Geister der Vergangenheit.
Und mach dich nicht kleiner als du bist, ich finde du kannst auch durchaus sehr schön schreiben, und dich sehr schön ausdrücken.
Aber ich kenn das, ich denk ja selbst auch von mir, dass das was ich da von mir gebe nicht wirklich lesenswert ist und es erst recht Niemanden interessieren wird (Aber das muss es auch nicht, manchmal hilft mir schon allein das Gefühl, dass es jemand anderes liest oder lesen könnte).
Naja, diese Selbstzweifel immer...so lästig.

Dann wünsch ich dir jetzt noch, genau wie mir, etwas mehr Selbstannahme und Glaube an die eigenen Fähigkeiten.

herr klimlof am 23.Apr 16  |  Permalink
"Du musst einfach nur mal wieder fröhlich sein!"
Na, wie oft hast du den weisen Ratschlag erhalten? Und das dann von Leuten, die es grundsätzlich gar nicht schlecht mit einem meinen, aber irgendwie den Eindruck erwecken, als seien sie vom Verständnis der Problematik so weit entfernt, als hätten sie bereits die blöde Mars-Expedition gemacht.
Die Worte "einfach" und "nur" kommen in beliebiger Kombination und auffälliger Häufigkeit vor. Als hätte man einen fehlprogrammierten Unratgeber-Bot vor sich.
Ich versuche mich dann auf dieses "eigentlich gut gemeint" zu fokussieren, um Niemanden unnötig vor den Kopf zu stoßen.
Bei "Mann, bist du dünn. Du musst mal mehr essen!" habe ich schon größere Schwierigkeiten, nicht mit blöden Witzen zu reagieren. Aber dass Nichtbetroffene offenbar standardmäßig nicht über zumindest rudimentäres Knowhow verfügen, ist wohl als gegeben hinzunehmen. Vielleicht hat das was mit dem schrägen Zeitgeist in Kombination mit der medialen Bearbeitung zu tun. Denn aus der Richtung kommt mMn schwerpunktmäßig Unbrauchbares. Gleichzeit ist es allerdings auch für den Beobachter sehr aufwühlend. Keine einfache Gesamtsituation.

Das mit dem Positivismus -also dem aus reiner Willenskraft ständig steigenden Fröhlichkeitsgrad- ist ziemlicher Bockmist, auch wenn es Menschen geben mag, deren persönliche Charakterentwicklung haargenau zu dem Konzept passt.
Aber wenn man sich im Leben so umschaut, dann geht eigentlich Alles rhythmisch ab. Ein- und Ausatmen, Muskelanspannung und Entspannung, Ebbe und Flut usw, weshalb es mir sehr plausibel erscheint, dass es Zeiten zum traurig und welche zum glücklich sein gibt. Mir war immer sehr wichtig, dass es zumindest Momente, von mir bewusst registrierte Momente gibt, in denen ich eine positive Selbstwahrnehmung habe. Einige der vielen Weißkittel, mit denen ich diese Thematik erörtert habe, fanden diese Herangehensweise sinnvoll und fruchtbar. Dieses Feedback wiederum hat mir durchaus weitergeholfen.

Dann fiel mir auf, dass du die Vokabel "kämpfen" verwendest. Ist die nicht reserviert von Krebs? ;-)
Nee, Scherz beiseite, eigentlich wollte ich eher fragen, gegen welche(n) Gegner du angehst? Den "inneren Schweinehund"? Oder etwas persönliches?
Mir kommt das Kämpfen höchsten im Zusammenhang mit "Teller leer essen" in den Sinn.

Rüüm Hart un klaar Kimming

raupenimmersatt am 24.Apr 16  |  Permalink
Danke für deinen ausführlichen Kommentar.
Ja der Satz "Du musst einfach nur mal wieder fröhlich sein!" habe ich wirklich schon öfter gehört.
Ich denke es ist wirklich am besten sich dann darauf zu konzentrieren, dass es wirklich gut gemeint ist (in den meisten Fällen zumindest). Manchmal frag ich mich ja selbst warum "einfach" nicht einfach mal einfach sein kann.

Dann muss ich wohl warten bis der rhythmische Ablauf mich ganz von alleine wieder in eine fröhliche Zeit "treibt". Hört sich aber auch nicht schlecht an, ich denke das könnte etwas mehr Gelassenheit mit sich bringen. Wenn man nicht verbissen immer versucht durch irgendwelche Veränderungen wieder an den "Punkt des Glücks" zu kommen. Ständig daran zu arbeiten wieder fröhlich zu sein, macht einen ja letztendlich erst recht nicht fröhlich.

Ja, positive Selbstwahrnehmung ist da wohl die richtige Herangehensweise, da ist bestimmt was dran.
Wenn das halt mal so einfach wäre... ;)

Hm ich habe das Wort "kämpfen" benutzt, da es sich für mich wie ein Kampf anfühlt. Also ein innerer Kampf, nicht direkt mit dem "inneren Schweinehund", eher mit gesundem und krankem Anteil in mir bzw. Vernunft gegen Unvernunft, ich weiß grad nicht wie ich es anders benennen soll, ist gar nicht so leicht. Irgendwie ist es auch ein kämpfen gegen mich selbst, ein ständiger Gedanke nicht auszureichen und mich optimieren zu müssen, was allerdings auch wieder nicht genug sein wird oder ich mich dann als Versagerin wieder sehe, weil ich es nicht schaffe.
Auch ein Gefühl von fremdbestimmt zu sein, das ist Alles mit dem Wort "kämpfen" für mich verbunden. Einerseits für mich selbst und gleichzeitig gegen mich zu kämpfen und dabei nicht zu wissen, was richtig und was falsch ist, worin der größere Nutzen und Vorteil für mich liegt. Wie Engelchen und Teufelchen die auf der Schulter sitzen, so könnte man es auch beschreiben.
Ich weiß nicht ob ich das jetzt verständlich ausgedrückt/beschrieben habe, mir erscheint es grad selbst zu kompliziert und dabei fragt ich mich jetzt wieder warum ich nicht einfach einfach gestrickt sein kann.

herr klimlof am 25.Apr 16  |  Permalink
Das mit dem ganz einfachen Einfach kannst du dir einfach kaufen :-)
Das hängt an irgendeinem Produkt dran, weshalb es nicht mehr frei für Alle ist. Fast alle Wünschenswertes hängt inzwischen an irgendwas, was man kaufen kann. Freiheit&Abenteuer konnte man mal mit ner Fluppe als bundle erwerben. Heutzutage ist man da wahrscheinlich mit einer Reise besser bedient ;-)

Hinsichtlich der Rhythmik des Lebens gibt es doch den schönen und sehr einfachen Spruch "Auf Regen folgt Sonnenschein" Das Coole an dem Teil ist sein ewige Wahrheit, die Sicherheit zu vermitteln fähig ist.
Seit die Erde die Sonne umkreist und auf ihr etwas existiert, das zu regnen in der Lage ist, folgt auf Regen Sonnenschein. Soviel ist sicher!
Aha, es gibt also etwas, auf das man sich verlassen kann. Schon mal gar nicht schlecht :-)

Diese "Jagd auf das Glück" ist ein großer fake. In Amerikanesien ist das der Türöffner für Rücksichtslosigkeit, aber als echtes Konzept taugt es nicht. Da sollte man sich nicht kopfscheu machen lassen.
Wenn ich mir in Hiphop-Videos so anschaue, was dort als "heile Welt" oder vorgeführte Zielsetzung zur Glücksjagd angeboten wird, dann sehe ich zu viele tolle Autos, Mädels mit sehr künstlich geboostetem Sexappeal. Hmmm, wenn das die Glücksbasis für ein ganzes Leben sein soll, dann bin ich als Armutsrentner wohl doch nicht so schlecht dran. Immerhin kann ich auf einige sauspaßige Dekaden zurückblicken und habe möglicherweise ja auch noch Ähnliches vor mir... nur halt ganz anders, irgendwie vom Sofa aus, aber was soll's :-)

Vielleicht bin ich zu empfindlich hinsichtlich des Wortes "kämpfen". Ich will auf keinen Fall ein Kämpfer sein. Die zerschlagen mir zuviel Porzellan und haben tendenziell recht schnell son "bis zum bitteren Ende"-Ding am Start. Das behagt mir nicht.
Deshalb versuche ich Kampfsituationen eher mit Deeskalation bis hin zum taktischen Nachgeben zu begegnen. Gegen sowas wie den "inneren Schweinehund" ist das natürlich ne ziemlich spezielle Methode. Und gegen externe Gegner hilft es zwar gut, aber insgesamt erweckt es wohl in der Außenansicht den Eindruck der Aufgabe.
Dieses "fremdbestimmt sein" und "sich fremdbestimmt fühlen" ist ne ziemlich kitzlige Angelegenheit, wie ich feststellen musste. Ebenfalls die Außensicht dieser Phänomene. Mein gesamtes "privates Netzwerk" hat sich unter Anderem über solchen Schwurbel pulverisiert. Die Erwartungshaltungen, die mir mit gutgemeinten Ratschlägen entgegen gebracht wurden, konnte und wollte ich nicht erfüllen. Ich war da eher verletzt, dass meine lieben Freunde sich offenbar schlecht bis gar nicht in mich eindenken können. Wenn ich versuchte zu erklären, warum ich den Tipp nicht umzusetzen gedenke, dann war sofort zu merken, dass ich ein "Der will sich ja gar nicht helfen lassen." erzeugt hatte.
Und dabei habe ich mich nicht einmal über die teilweise wirklich erstaunlichen Übergriffe beschwert, weil ich nicht ausprobieren wollte, ob es dann in offenen Streit übergeht.
Und trotzdem geht es weiter, was mir insofern behagt, als ich aktuell echt Hummeln im Mors hab, was nach ner Herbst&Winter-Agonie mal richtig aufregend ist :-)
Aber "kämpfen", so wie du es hier verwendest, ist dann eher als Kraftquelle zu verstehen, oder so verstehe ich es jedenfalls. Deswegen hat der Kämpfer bei Dungeons&Dragons auch den zweiten Atem, 2nd breath, mit dem er sich dann noch mal aufrappelt, wo andere einknicken würden. Von daher bist du vermutlich auf der richtigen Spur :-)